Schutzmaßnahmen für Alle und zwar sofort!

Am 21.04. wurde ein offener Brief an die Mitglieder des Rates der Stadt Osnabrück verschickt. Gefordert werden schutzschaffende Maßnahmen für Geflüchtete, Obdachlose und schutzbedürftige Frauen und Kinder in der Coronakrise. Initiiert von NoLager und unterstützt von Exil e.V., fand der offene Brief weitere Unterzeichner*innen bei Osnabrücker Initiativen und Organisationen. Auch das SubstAnZ unterstützt die Forderungen.

Offener Brief an den Stadtrat Osnabrück initiiert von No Lager Osnabrück und mit Unterstützung von Exil e.V.

Sehr geehrte Mitglieder des Rates der Stadt Osnabrück,

seit einigen Wochen befindet sich die Welt im Ausnahmezustand: Die Gefahren des neuartigen Coronavirus. Überall wird zur Solidarität und Rücksichtnahme aufgerufen, sei es die Rücksicht auf Risikogruppen oder das Verständnis für die mitunter extrem restriktiven Eingriffe in unsere Grundrechte. Viele Menschen stellen sich gerade ganz existenzielle Fragen: Wie sie beispielsweise in der aktuellen Situation ihre Miete zahlen sollen oder ob ihre Freund*innen, Kolleg*innen undvAngehörigen die nächsten Monate gesund überstehen. Hinzu kommt die drohende Rezession, deren Folgen aller Voraussicht nach ein deutlich größeres Ausmaß als die Weltfinanzkrise von 2008 annehmen werden. Auf kommunaler und auch auf Länder- und Bundesebene werden alle zur Verfügung stehenden Mittel zur Abfederung der wirtschaftlichen Konsequenzen bemüht, um jenes System weiterhin zusammenzuhalten, welches all diese Ereignisse überhaupt erst möglich gemacht hat.

Verfolgt man die täglichen Nachrichten scheint vieles durch die Allgegenwärtigkeit von Covid-19 in Vergessenheit geraten zu sein: die Klimakrise, die Unruhen und schwierige sozio-politische Lage in weiten Teilen des Nahen und Mittleren Ostens, sowie die daraus resultierende prekäre Situation der Geflüchteten an der EU Außengrenze. Dass Deutschland als Land mit 82 Millionen Einwohner*innen anscheinend aktuell nur dazu in der Lage ist, 47 junge Menschen aus den Camps auf den griechischen Inseln aufzunehmen (bzw. die gesamte Europäische Union mit 450 Millionen Einwohner*innen insgesamt nur 1.500), ist für uns vollkommen unverständlich. Dies umso mehr, wenn man bedenkt, dass es anscheinend problemlos möglich ist, für die anstehende Spargelernte zehntausende Saisonarbeitskräfte einzufliegen und unterzubringen, weil sich anderweitig angeblich kein fähiges Personal finden lässt (oder vielleicht eher, da sich kein anderes Personal findet, das bereit ist, diese Arbeit für so wenig Geld zu machen). Dass die Bundesregierung durchaus in der Lage ist, eine große Anzahl von Menschen aus dem Ausland einfliegen zu lassen, zeigt die Rückholaktion der rund 200.000 Menschen, die die deutsche Staatsbürgerschaft innehaben oder auf Grund anderer Privilegien als rettungswürdig erscheinen.

Im konkreten Fall der Stadt Osnabrück und dem Land Niedersachsen blicken wir vor allem mit Sorge auf die Unterbringungssituation von Geflüchteten, Obdachlosen und schutzbedürftigen Frauen und Kindern. Deren Unterbringung in Mehrbettzimmern bzw. engen, gemeinschaftlich genutzten sanitären und haushaltstechnischen Anlagen machen es kaum möglich, sinnvolle Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten. Trotz aller sinnvoller Bemühungen der Betreiber*innen dieser Einrichtungen, die Menschen zu schützen, ist das Infektionsrisiko in diesen Einrichtungen extrem hoch. Wir fordern daher die Stadt Osnabrück und das Land Niedersachsen auf, als notwendigen Schutz vor der Infizierung mit dem SARS-CoV_2 folgende Maßnahmen für Geflüchtete, Obdachlose und schutzbedürftige Frauen und Kinder zu ergreifen und begrüßen die schon eingeleiteten Maßnahmen, um diesen Schutz zu gewährleisten:

Pro Zimmer nur eine volljährige Person unterbringen.

Was als Vorschrift für Saisonarbeitskräfte gilt, muss auch für geflüchtete Menschen, Obdachlose und Frauen in Schutzeinrichtungen gewährleistet sein. Wenn dies in Unterkünften und im Frauenhaus nicht möglich ist und wenn durch enge, gemeinschaftliche Nutzung der vorhandenen sanitären Anlagen und Küchen das Ansteckungsrisiko extrem erhöht ist, müssen die Stadt Osnabrück und das Land Niedersachsen eine anderweitige Unterbringung in den zurzeit ohnehin leerstehenden Hotels, Hostels, Jugendherbergen veranlassen. Vorrang haben Personen, die im Falle einer Erkrankung einer Risikogruppe angehören, perspektivisch muss es aber um alle in Gemeinschaftsunterkünften lebende Menschen gehen. Für sie muss es möglich sein, dieselben Vorsichtsmaßnahmen anzuwenden, die für alle gelten. Die Unterbringung erfolgt in der Stadt Osnabrück. Daraus ergibt sich auch eine schnelle kommunale Aufnahme aller Geflüchteten aus der LAB in der Sedanstraße. Die Träger*innen der Unterkünfte und des Frauenhauses werden am Prozess der anderweitigen Unterbringung beteiligt, besondere Bedürfnisse, z.B. Schutz und Anonymität, gewährleistet.

Weitere Geflüchtete von den EU-Außengrenzen aufnehmen.

Es sollte für Stadt und Land ohne weiteres möglich sein, mehr als die bisher beschlossenen 50 Kinder bundesweit aufzunehmen. Diese Maßnahme würde ein klares Zeichen an die Bundesregierung senden. Die Stadt Osnabrück ist seit einigen Jahren ein sogenannter „Sicherer Hafen“ für Geflüchtete und hat damit die Bereitschaft erklärt, eigenständig weitere Geflüchtete aufzunehmen. Auch vonseiten des Bürgermeisters wurde die Bereitschaft erklärt, im Rahmen einer europäischen Aktion weitere Geflüchtete aufzunehmen. Eine umfassende gemeinsame europäische Aktion ist derzeit nicht in Sicht. Es darf jetzt aber keine Zeit verloren werden. Die bestehende Katastrophe in den griechischen Lagern muss beendet und eine Verschlimmerung dieser Katastrophe durch das Coronavirus abgewendet werden. Dafür sollten Stadt und Landkreis Osnabrück und das Land Niedersachsen sämtliche Möglichkeiten ausschöpfen, um weitere Menschen eigenständig aus den Camps an den EU-Außengrenzen aufzunehmen und unterzubringen. Die Stadt Osnabrück sollte von der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie nach Artikel 28, Abs. 2, Satz 1 des Grundgesetzbuches Gebrauch machen. Des Weiteren sollen Bund und Länder den Königsteiner Schlüssel aussetzen und somit die Kommune befähigen – über den Verteilungsschlüssel hinaus – Migrant*innen aufzunehmen.

Aufenthaltstitel verlängern und vollumfänglichen Zugang zu Gesundheitsleistungen gewährleisten.

Menschen, die aufgrund der Corona-Krise ihren Arbeitsplatz und somit die Grundlage ihres Aufenthaltstitels verlieren, müssen bis auf Weiteres eine unbefristete Verlängerung ihrer Aufenthaltspapiere bekommen. Zudem muss ein niedrigschwelliger Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen für alle Menschen gewährleistet sein. Viele Migrant*innen, die nun keinen Arbeitsplatz mehr haben, sind akut von sozialer Verelendung bedroht. Asylsuchenden wird nur ein beschränkter Zugang zum Gesundheitssystem gewährt. Dies muss mindestens für die Zeit der Corona-Pandemie aufgehoben werden und vollumfängliche Gesundheitsversorgung für alle Menschen ermöglicht werden.

Alle Abschiebungen aussetzen und Leistungskürzungen aufheben.

In der derzeitigen Situation, in der das gesamte gesellschaftliche Leben ruht, ist es geradezu absurd, dass Abschiebungen weiter angedroht und durchgeführt werden, was solange möglich ist, wie ein Abschiebestopp nicht ausgesprochen wird. Abgesehen davon, dass viele Länder generell momentan keine Menschen aus dem Ausland aufnehmen, ist es nicht zumutbar, Menschen durch eine Abschiebung einem erhöhten Infektionsrisiko auszusetzen. Zudem müssen die Ausländerbehörde und die Sozialämter sofort die Leistungskürzungen für jene Geduldete und Asylbewerber*innen aufheben, die aufgrund mangelnder Mitwirkungspflichten bei der Identitätsklärung oder Ausreise erteilt wurden. In der momentanen Situation ist diese
Mitwirkungspflicht unmöglich zu erfüllen und darf daher nicht sanktioniert werden.
Es gilt nun, gemeinsam mit den Sozialämtern einen einfachen Zugang zu Überbrückungsleistungen für all jene zu ermöglichen, die in der momentanen Situation darauf angewiesen sind. Des Weiteren müssen die Fristen der Dublin-III-Verordnung nicht nur pausiert, sondern ausgesetzt werden. Es kann nicht sein, dass Deutschland nicht sein Recht auf Selbsteintritt nutzt und somit weiterhin an dem nicht funktionierenden Dublin-System festhält und Menschen weiterhin der Angst vor Abschiebungen aussetzt. Auf kommunaler Ebene muss ein Erlass ergehen, der die Ausländerbehörde anweist, ausnahmslos keine weiteren abschiebenden Maßnahmen einzuleiten.

Um das Coronavirus erfolgreich einzudämmen und die Auswirkungen auf das öffentliche Leben sozialverträglich zu gestalten, halten wir die oben genannten Maßnahmen für unumgänglich. Die Friedensstadt Osnabrück sollte den sozialen Frieden im Blick behalten und ist nun gefordert, diese historische Verantwortung zu übernehmen und progressiv voranzugehen. Sehr geehrte Mitglieder des Rates, wir
fordern Sie auf, Verantwortung zu übernehmen und besonders Schutzbedürftige unserer Gesellschaft besser zu schützen. Ähnlich verhält es sich in der Bewältigung der internationalen Krise um die Verantwortungsübernamen von geflüchtete Mitmenschen weltweit, die auf die Unterstützung vieler einzelner Städte und Länder angewiesen sind. Dabei könnte Osnabrück eine profilierende Vorreiterrolle einnehmen.
Wenn uns die Corona-Pandemie bislang eines gelehrt hat, so ist es, dass diese Krise nur gemeinsam solidarisch überwunden werden kann.

Unterzeichner*innen
  • Amnesty International Gruppe Osnabrück
  • Attac Osnabrück
  • Autonomes Frauenhaus Osnabrück
  • BISS Osnabrück
  • Bündnis gegen Abschiebungen Osnabrück
  • Die Grünen – Stadtverband Osnabrück
  • Exil e.V.
  • Flüchtlingshilfe Rosenplatz
  • Frauenberatungsstelle Landkreis Osnabrück
  • Frauenberatungsstelle Stadt Osnabrück
  • Frauennotruf Osnabrück
  • Maria Meyer, Preisträgerin des Elisabeth-Siegel-Preises der Stadt Osnabrück
  • Nicole Verlage, Vorsitzende DGB Stadtverband Osnabrück
  • Niedersächsischer Flüchtlingsrat
  • NoLager Osnabrück
  • SDAJ Osnabrück
  • SJD – Die Falken Osnabrück
  • SubstAnZ Osnabrück