Am Dienstag, den 26. April 2016 wurde, im strömenden Regen, ein weiterer Stolperstein in Osnabrück verlegt. Für diesen haben wir die Patenschaft übernommen und möchten hier die Biografie von Heinrich Stille vorstellen.
Heinrich Stille wurde am 2. September 1904 in Osnabrück geboren.
Die Eltern von Heinrich Stille, der Arbeiter Lebrecht Stille aus Iburg und Marie Beckmann, aus Wimmer heirateten am 1902 in Osnabrück. Die Stilles wohnten zunächst an der Mellerstraße 78. Marie Stille brachte eine sechsjährige Tochter mit in die Ehe. Das Paar bekam zusammen vier weitere Kinder. Die Zwillinge Else und Margareta, danach Heinrich und Friedrich.
Vom Lebensweg Heinrichs verrät die Kartei nur Bruchstückhaftes. Er war unverheiratet und von Beruf Schlosser. Mit 21 Jahren meldete er sich am 9.11.25 nach Nordhorn ab. Vom 20.2.1926 an lebte er wieder in Osnabrück bei seinen Eltern. Am 16 Februar 1934 zog er nach Merzen und kam am 23. April 1934 zurück zu seinen Eltern. Danach wohnt er bei seinem Bruder Friedrich und dessen Frau Helene vom 7. März bis zum 18. Oktober 1938 an der Alten Münze 2. Als “unbekannt verzogen” abgemeldet ist er bereits am 15.12 1938 wieder zurück. Im Jahr darauf meldet er sich am 3. Juli zur Goldstraße 33 ab, wo er bis zum 9. August 1940 lebt.
Als er 1941 mit den Nationalsozialistischen Repressionsstrukturen in Konflikt geriet, war er noch immer unverheiratet. Sehr wahrscheinlich war ihm die Zusammenarbeit des Arbeitsamtes mit der Gestapo nicht bekannt. Aus der Gestapokartei geht folgendes hervor:
Heinrich “Stille wurde am 19.5.1941 festgenommen, weil er die ihm vom Arbeitsamt zugewiesene Arbeit bei der Firma Hagedorn in Osnabrück, nicht aufgenommen hat, sondern sich als Gelegenheitsarbeiter betätigte. Nach verantwortlicher Vernehmung und ernstlicher Warnung, wurde er am 26.5.41 wieder entlassen und dem Arbeitsamt zur Verfügung gestellt. Ihm ist die Auflage erteilt worden, sich jeden 2. Tag auf der hiesigen Dienststelle zu melden.”
Das Heinrich Stille nach dieser Woche Haft nicht die Gefahr erkannte, in der er sich befand, beweist ein weiterer Eintrag:
Heinrich “Stille wurde am 10.6.41 erneut festgenommen, weil er die ihm vom Arbeitsamt zugewiesene Arbeit nicht aufnahm, sondern weiterhin Gelegenheitsarbeiten ausführte. Die Staatspolizeilichen Auflagen beachtete er nicht. Bis zur Durchführung des gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens und nach Strafverbüßung, ist gegen ihn Schutzhaft und Überweisung in ein KL. beantragt worden.”
Am 2. September wird er als “Schutzhäftling” eingesperrt und dann am 21. Oktober von Osnabrück in das Konzentrations Lager Niederhagen in Wewelsburg bei Paderborn überstellt.
Die Wewelsburg war ein privates Projekt Heinrich Himmlers, der zur Umsetzung 1936 einen Verein gegründet hatte, dessen Vorsitzender er war. Die Bauarbeiten bestritt er am anfangs mit Arbeitsdienstangehörigen. Als diese 1938 zum “Westwall” abgezogen wurden, kamen ab Mai 1939 sogenannte Befristete Vorbeugehälftlinge (“BV” Häftlinge) aus Sachsenhausen zum Einsatz. Mit dem Überfall auf Polen am 1. September, wurden diese Häftling zurückgeschickt und die Arbeit erst nach dem Sieg über Polen wieder aufgenommen.
Seit Herbst 1940 wurden vor allem sog. “Asoziale” nach Wewelsburg verbracht. Am 7. Januar 1941 wurde das Außenkommando ein Außenlager des KZ Sachsenhausen. Am 1. September 1941 wurde es aus wirtschaftlichen Gründen von Himmler an den Staat verkauft und zu einem selbstständigen Lager gemacht, das die Bezeichnung “Konzentrationslager Niedernhagen” erhielt, vermutlich um die Verknüpfung von Himmlers Bauprojekt mit dem KZ zu verschleiern.
Die Zuweisung von Häftlingen erfolgte nicht nur über andere KZ, sondern auch “direkt über Gestapostellen, vor allem aus dem Ruhrgebiet, aber auch aus Paderborn oder Osnabrück.” (Benz S.20)
“Das KZ Niedernhagen wurde in der offiziellen Lagereinstufung … der Stufe 1 für die >wenig belasteten und unbedingt besserungsfähigen Schutzhafthäftlinge, Sonderfälle und Einzelhaft< zugeordnet. Die realen Existenzbedingungen entsprachen allerdings in keiner Weise dieser Einschätzung.” (S. 21)
Die Ernährung verschlechterte sich 1941 stetig. Der Lagerarzt sprach von 600 – 900 Kalorien am Tag.
“Viele Häftlinge starben an den Folgen der schweren Arbeit. Ein Kommando war mit dem Um- und Ausbau des Nordturms der Wewelsburg beschäftigt. Bei den Ausschachtarbeiten in der >Gruft< mußten die Häftlinge den Felsboden mit nur unzureichenden Hilfsmitteln um mehr als 4 m ausheben. Die Arbeiten in der ständigen Kälte und Feuchtigkeit des Kellergewölbes bedeuteten schwerste, körperliche Anstrengung. Dennoch galten die Arbeitskommandos am Nordturm als relativ sichere Arbeitsplätze unter den Häftlingen, bei denen sie vor den Misshandlungen der SS weitgehend geschützt waren. Anders dagegen die Arbeiten in den drei Steinbrüchen (an der Burg, am Bahnhof und im mehrere Kilometer entfernt gelegenen Dorf Ahden), beim Straßenbau, beim Umbau des Hofes Marx sowie dem Bau der SS- >Waldsiedlung<: von diesen Kommandos wurden fast täglich Tote zurück in das Lager gebracht.” (S. 22)
“… >Waldsiedlung< war ein bei den Häftlingen gefürchtetes Strafkommando. Sie erlitten hier besondere Misshandlungen der SS und der Kapos, meist >asoziale< oder BV-Häftlinge. Die Häftlinge mussten schwere Felsbrocken im Laufschritt einen steilen Hang hinauf und wieder hinabtragen und wurden dabei häufig geschlagen.” (S. 23)
Nach der Umwandlung in ein Hauptlager stieg von August bis Ende 1941 die Zahl der Toten rapide an.
In dieser Zeit wurde Heinrich Stille durch Osnabrücker Gestaposchergen in das KZ Niedernhagen eingeliefert. In der Gestapokartei wird sein Tod am 12. Dezember 1941 mit der Ortsbezeichnung: “im KL.- in Wewelsburg verstorben.” dokumentiert.
Heinrich Stille wurde in knapp 2 Monaten zu Tode geschunden, er wurde nur 37 Jahre alt.
“Rund 3900 Menschen wurden in Wewelsburg inhaftiert und zur Arbeit gezwungen. … Ganz im Sinne der Devise >Vernichtung durch Arbeit< starben im KZ Niedernhagen mindestens 1285 Menschen.” (Pfeiffer*)
Wie andere Opfergruppen einer Wertigkeitsideologie, die der bürgerlichen Vorstellungswelt entstammte und vom Nationalsozialismus auf die Spitze getrieben wurde, wurde die Stigmatisierung sogenannter “Asozialer” im Entschädigungsgesetz nach 1945 fortgeschrieben. Sie waren von jeder Entschädigung ausgeschlossen.