Nächstes Jahr geht das Licht aus. Ein offener Brief

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Das SubstAnZ ist ein selbstverwaltetes Zentrum in Osnabrück. Alles, wirklich alles, wird ehrenamtlich organisiert und umgesetzt. Entscheidungen werden auf den wöchentlichen Plena im Konsens getroffen.

Der Wunsch und die Forderung nach selbstverwalteten Räumen in Osnabrück bestehen seit vielen Jahrzehnten. Hervorgegangen aus unzähligen Hausbesetzungen wurde 2007 ein gemeinnütziger Verein gegründet mit dem Ziel, selbstverwaltete Räume zu schaffen. Inzwischen unterstützen über 300 Mitglieder dieses Anliegen. Seit 2009 mieten wir ein 700qm großes Objekt an der Frankenstraße 25a unweit des ehemaligen Güterbahnhofes. Wir erlangten die Anerkennung als freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe und sind seit unseren Anfängen ein fester Bestandteil der Kultur- und Bildungslandschaft der Stadt Osnabrück. In den 14 Jahren fanden weit über 700 Auftritte und Konzerte von Künstler:innen aus der ganzen Welt, unzählige Partys, Ausstellungen, Vorträge, Workshops und Gruppentreffen statt.

Wir gewannen dreimal den Bundesmusikpreis ‚Applaus‘ für unser ‚herausragendes kulturelles Engagement‘. Zuletzt vor zwei Monaten, wo wir zusätzlich den Sonderpreis für unsere Awarenessarbeit erhalten haben. Ein Alleinstellungsmerkmal. Wir sind die treibende Kraft hinter der Gedenkinitiative Peter Hamel, die im vergangenen Jahr ein Mahnmal für Peter und Zivilcourage und gegen Homophobie im Raiffeisenpark errichten ließ. Wir sind Pate des Stolpersteins für Heinrich Stille und wir sind Herausgeber der Schicksalsbiographie von Gustav Cord-Landwehr, exemplarisch für tausende Opfer des Nationalsozialismus aus Osnabrück.

Für unser Engagement erhalten wir viel Zuspruch. Wir hören von Studierenden, dass sie sich für den Studienstandort Osnabrück entscheiden, weil diese Stadt einen solchen Freiraum hat. Wir erfahren Solidarität, wenn die AfD Osnabrück fordert, uns aus dem Stadtbild „zu tilgen“.

Neben unserem kulturellen Engagement sind wir ein fester und streitbarer Bestandteil der sozialen und politischen Landschaft dieser Stadt geworden. Bei uns können sich Jugendliche und junge Erwachsene weitestgehend frei entfalten. Frei von gesellschaftlichen Erwartungen oder Zwängen, frei von Diskriminierung und frei von Vorurteilen. Bei uns finden Menschen einen Raum, die sich zu alt für städtische Jugendzentren und zu jung für viele andere Angebote der Stadt fühlen. Getränke- und Eintrittspreise, sofern sie denn überhaupt erforderlich sind, decken bei uns ausnahmslos den Selbstkostenpreis der Veranstaltung und den Erhalt unseres Projektes. Das durch den Applauspreis gewonnene Geld nutzen wir unter anderem dafür, den Eintrittspreis bei Konzerten und Partys bei fünf Euro zu belassen, um so weiterhin niedrigschwellige Teilhabe zu ermöglichen. Gleichzeitig ist weit über 90% unseres Angebotes kostenfrei. Es besteht keine Konsumpflicht oder eine Pflichtmitgliedschaft in unserem Trägerverein.

Uns war es immer wichtig, auch finanziell unabhängig zu sein. Dies gelang uns bis zum letzten Jahr ohne Unterbrechung und größere Schwierigkeiten. Durch die Folgen der Coronapandemie, die Folgen der Inflation, der Energiepreisentwicklung und durch den Auszug einer Untermietergemeinschaft ist unser Finanzierungsmodell ins Wanken geraten. Zudem führten wir einen notwendigen Rechtsstreit, dessen Inhalt der fehlende Umgang mit Tätern sexualisierter Gewalt innerhalb der Osnabrücker Kulturszene war.
Erstmals haben wir in diesem Jahr übergangsweise Unterstützung durch die Stadt Osnabrück beantragt. Ein Schritt, der uns wahrlich nicht leichtgefallen ist und dem viele kontroverse Diskussionen vorangegangen sind. Seit sieben Monaten erhalten wir einen monatlichen Betriebskostenzuschuss i. H. v. 1600€. Dieser Zuschuss kann unsere monatlichen finanziellen Einbußen nur bedingt auffangen. Wie alle fürchten auch wir uns vor der noch offenen Nebenkostenforderung des laufenden Jahres. Inzwischen müssen wir uns rechtfertigen, weshalb wir diese Unterstützung trotz des Applauspreises überhaupt noch benötigen. Uns ist nicht bekannt, dass bei anderen Institutionen, die für ihr Engagement ausgezeichnet werden, eine Förderung infrage gestellt wird. Dies wäre regelrecht eine Bestrafung für ausgezeichnetes zivilgesellschaftliches und kulturelles Engagement. Im Übrigen sind Preisgelder steuerpflichtig, was unsere uneingeschränkte Freude ein wenig mindert, und Geld zurück in die Staatskasse spült.

Vor einigen Monaten erfuhren wir durch die Zeitung, dass unser Mietvertrag nicht verlängert wird. Inzwischen liegt uns diese Entscheidung der Vermieter schriftlich vor. Im September 2024 geht an der Frankenstraße für immer das Licht aus – zumindest für uns, denn auch was an unserem Ort geplant ist, erfuhren wir über die Zeitung. Eine Neuansiedlung von Kultur. Tragisch ist dabei, dass hier ein seit Jahren etabliertes, kulturelles und unkommerzielles Projekt verdrängt wird, um Raum für Kommerz und Konsum zu schaffen. Eine Entwicklung, die nicht nur Osnabrück betrifft, sind es doch überall solche Projekte wie unseres, die um ihre Existenz fürchten und kämpfen müssen.

Sollte es uns nicht möglich sein, eine neue und geeignete Immobile für unser Projekt zu finden, bricht für viele von uns und den vielen hunderten Besucher:innen und Nutzer:innen eine Welt zusammen. Der Stadt wird ein Raum fehlen, der immer Seite an Seite mit den Menschen stand, die sich anderswo nicht aufgehoben oder wohlgefühlt haben oder schlechte Erfahrungen machen mussten. Ein Raum, in dem das Aussehen oder die Fülle des Geldbeutels nie eine Rolle gespielt hat. Ein Raum, in dem basisdemokratische Prozesse geführt und erlernt werden. Ein Raum, in dem Menschen sich frei und ungezwungen entfalten und bewegen können. Ein freier Raum – ein Freiraum.

Ein Ort für zivilgesellschaftliches Handeln und Ort einer Gegenkultur wären verschwunden. Den über 20 Gruppen des Hauses würde ein Ort fehlen, um sich unkompliziert zu treffen und zu organisieren. Eine Open-Wall würde fehlen, an der sich Grafitti-Künstler:innen austesten. Die Stadt hätte eine weitere Bühne weniger, auf der sich Bands ausprobieren und auftreten können. Auch würden lokale Getränkezuliefer:innen einen umsatzstarken Kunden verlieren.

In der heutigen Zeit geht es immer häufiger um die Rechte der Stärkeren und Lauteren, rechte Parolen sind salonfähig geworden und das ‚Wir und die Anderen‘ führt zu noch mehr Ausgrenzung, als es zuvor schon der Fall war. Extrem rechte Parteien können (erneut) in Teilen stärkste Kraft werden und antisemitisches Denken sowie Handeln lässt bei vielen jeden Verstand verlieren – gerade in dieser Zeit ist es wichtiger denn je, politische Orte wie das SubstAnZ zu haben.

Der Wunsch und die Notwendigkeit nach selbstverwalteten Räumen ist seit Jahrzehnten ungebrochen und würde auch nach dem Verlust unseres Hauses weiter Bestand haben. Der offensichtliche Bedarf wird durch die tägliche Nutzung unseres Hauses deutlich. Räume würden sich erneut genommen. Die Forderung nach selbstverwalteten Räumen wäre lauter, als wir das in diesem offenen Brief vermitteln können.

Wir bitten alle darum, uns bei unserer Suche nach einer geeigneten Immobilie zu helfen.

Wir bitten Eigentümer:innen leerstehender oder freiwerdender Immobilen, sich zu melden und sich unser Finanzierungs- und Nutzungskonzept anzuhören. Das trifft insbesondere auch auf Immobilien zu, die zum Verkauf stehen.

Wir fordern die Stadt Osnabrück, insbesondere den Rat und Entscheidungsträger:innen auf, uns bei der Suche zu unterstützen und sämtliche Liegenschaften der Stadt einer Tauglichkeit für unser Projekt zu überprüfen.

Wir rufen die Ratsmitglieder auf, sich für uns einzusetzen und bspw. ihren Einfluss auf das Land wahrzunehmen und dieses ebenfalls nach geeigneten Immobilien suchen lässt.

Wir rufen alle auf, unsere Suche zu teilen und zusammen mit uns für eine gerechtere Welt zu kämpfen.

Für ein gutes Leben für alle.

Euer SubstAnZ
November 2023



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