Alles neu – nur ohne uns!

Die Neue Osnabrücker Zeitung veröffentlichte am 19. Juli ein Interview mit Martin Wüst, einem unserer Vermieter (1). Mit diesem Interview bricht Wüst die Vereinbarung, dass es vor Presseveröffentlichungen jeglicher Art,  die uns gegenseitig betreffen, vorherige Absprachen gibt. Dieses Interview und damit die Entwicklung der „Kulturlandschaft“ Osnabrücks und unserer Zukunft, können wir nicht unkommentiert lassen.

Zur Vorgeschichte
Martin Wüst, der sich oft selbst als Retter der (Osnabrücker) Kultur versteht, ist einer der drei Beteiligten der WLH (Wüst, Loehr, Hefti) Gesellschaft, die 2015 für mehrere Millionen € das gesamte Areal zwischen Dammstraße und Frankenstraße gekauft hat. Mit dem Kauf nutzten sie eine Sonderkündigungsklausel unseres Mietvertrages von 2009 und kündigten unseren Vertrag. Hiermit ging gleichzeitig die Botschaft an uns, dass wir gerne bleiben könnten, wenn wir monatlich 700€ mehr Miete zahlen würden. Zähneknirschend gingen wir auf das Angebot ein und unsere monatliche Miete erhöhte sich auf fast 4.000€. Viel Geld für ein heruntergekommenes Gebäude mit oft Wasser im Keller und maroder Bausubstanz. Diese hohe Miete konnten wir, mit pandemiebedingten Pausen und inzwischen beglichenen Rückständen, über 12 Jahre ohne Unterbrechung zahlen.

Nach dem neuen Vertragsabschluss verkündete Wüst in der NOZ: „Gute Nachricht für die Osnabrücker Subkulturszene: Der Mietvertrag des alternativen, selbstverwalteten „SubstAnZ“- Zentrums an der Frankenstraße ist Ende vergangenen Jahres um fünf Jahre verlängert worden.“ (2) Von der Pistole auf der Brust und der folgenden Mieterhöhung war da natürlich keine Rede. Auch im aktuellen Interview (NOZ-Artikel) schildert Wüst nur die halbe Wahrheit. Dort heißt es: „2024 läuft außerdem der Mietvertrag für das aktuell vom selbstverwalteten Zentrum „SubstAnZ“ genutzte, mehrgeschossige Gebäude an der Frankenstraße neben dem Brücks aus. „Auch hier gibt es schon Ideen“, macht Wüst deutlich.“ Zu der Wahrheit gehört aber auch, dass unser Mietvertrag nur ausläuft, weil er nicht verlängert wird. Für uns ist es aus mehreren Gründen eine realistische Option, weiter im Gebäude verbleiben zu wollen: erstens mangels Alternativen und zweitens, weil wir uns dort 12 Jahre lang etabliert haben und ein fester Bestandteil der regionalen und überregionalen Kulturszene geworden sind. Das SubstAnZ wurde bereits zweimal mit dem „Deutschen Spielstätten Preis“ ausgezeichnet,  als besonderer und herausragender Ort mit mehr als 50 Konzerten im Jahr.
Neben der kulturellen Bereicherung der Stadt ist das SubstAnZ ein fester Ort für politisches und gesellschaftliches Engagement. Nirgendwo sonst in der Stadt können sich politische Gruppen so frei treffen und entwickeln wie bei uns. Selbst in den städtischen Jugendzentren wird eine Miete verlangt und die Treffen sind an die Öffnungszeiten gebunden. Auch aus der Osnabrücker Jugendkultur ist das SubstAnZ nicht mehr wegzudenken. Regelmäßig finden bei uns um Rahmen der Jugendkulturtage Veranstaltungen, wie Selbstbehauptungskurse, Graffiti- oder Siebdruckworkshops statt. Auf unserem Hof gibt es einige der wenigen Open-Walls in Osnabrück, also ein Ort,  an dem sich Graffitikünstler*innen legal ausprobieren können. Das SubstAnZ ist oft der Ort, an dem sich junge Menschen treffen, die sich in keinem Angebot der Jugendkultur wiederfinden können. Durch das vielfältige und professionelle Engagement unserer Nutzer*innen praktizieren wir ehrenamtliche Streetwork und elementare Sozialarbeit dieser Stadt. 

Viel hat Wüst in seinem Leben als Gastronom schon versucht und ist oft gescheitert. Jeder Mensch der Osnabrücker Kultur- und Gastroszene kennt seine Geschichte. Doch zumindest das Vermietersein funktioniert. Dafür muss man nicht viel können, außer das notwendige Kapital zu haben und da hat der mit seinen Mitgesellschaftern die Richtigen gefunden. 
Wenn Wüst jetzt von seinem „Revival des Kulturhof-Konzepts“ träumt, dann bedeutet das auch, dass dieser Traum nur in Erfüllung gehen kann, wenn bestehende Kultur verdrängt wird. Kultur zählt in den Augen mancher Menschen, so wie unserer Vermieter, eben nur, wenn sie kommerziell ausgenutzt werden kann. Kundschaft, die nicht zahlungskräftig ist oder an anderen Orten keinen sicheren Raum findet, um Freizeit- und Kulturangebote wahrzunehmen, wird vergessen und aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Wie gering Orte wie das SubstAnZ geschätzt werden, sieht man eben nicht nur an den Fakten, dass uns die Räumlichkeiten genommen werden, für die wir schon horrende Summen an Miete zahlen, sondern auch an der Art, wie mit uns kommuniziert wird.
Auf der anderen Seite des Bahndamms wird in den nächsten Jahren ein neuer Stadtteil entstehen, das sogenannte Lok-Viertel auf dem ehemaligen Güterbahnhof. Doch hier wurden, nicht überraschend, die Weichen von einigen wenigen Kapitaleigner*innen gestellt, bevor die Menschen sich einbringen konnten, die diese Stadt wirklich ausmachen. Hierbei hat auch die Stadt es versäumt, (unkommerzielle) Kultur und Räume, an denen öffentliches Leben abseits von Konsum stattfindet, zu schützen.

Wir werden weiter dafür kämpfen, dass es überall Freiräume gibt. Osnabrück braucht SubstAnZ!

Wir freuen uns immer solidarische Menschen, Mitgestalter*innen des SubstAnZ, Unterstützung jeglicher Art – auch auf der Suche nach einem neuen Zuhause.


(1) NOZ 19.7.22: https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/multifunktionshalle-fuer-bis-zu-2000-gaeste-in-osnabrueck-denkbar-42555659
(2) NOZ: 21.1.2016: https://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artikel/neuer-vertrag-fuer-das-substanz-perspektiven-fuer-alternative-clubszene-in-osnabrueck-23437831